Wer Größenordnungen verständlich machen will, wählt anschauliche Bilder – und vergleicht den Verbrauch von Papier mit der Höhe des Eiffelturms. Manchmal sind solche Beispiele unfreiwillig komisch
Alle mal herhören: „Mit der Energie, die durch das Recycling von Verkaufsverpackungen im letzten Jahr eingespart wurde, könnten die deutschen Bäckereien über drei Jahre lang für jeden der rund 83 Millionen Bundesbürger täglich zwei Brötchen backen.“
eeindruckend, was? Drei Jahre lang täglich zwei Brötchen! Das haben wir dem Dualen System zu verdanken. Und nicht nur das: „Darüber hinaus konnte der Ausstoß von 1,32 Millionen Tonnen klimaschädlicher Treibhausgase vermieden werden, das entspricht den Emissionen von rund 25 Milliarden gefahrenen Bahnkilometern. Umgerechnet könnte demnach jeder Bundesbürger im Jahr rund 300 Kilometer mit der Bahn fahren“, heißt es in einer Pressemeldung der Abfallverwerter. Während der Leser sich Brötchen mümmelnd im Zug wähnt, fragt er sich aber auch: Was will uns diese PR-Prosa sagen?
erbetexter, Journalisten oder Lehrer müssen, wenn sie wissenschaftliche oder technische Zusammenhänge vermitteln wollen, oft sehr große oder sehr kleine Zahlen anschaulich darstellen. Und da sich kaum jemand etwas Größeres als, sagen wir mal, eine Million vorstellen kann (ein ehemaliger Wirtschaftsminister scheiterte schon bei der Frage, wieviele Nullen eine Milliarde hat), muss man den Leuten das mit einem Vergleich deutlich machen. Die eingesparten 64,1 Milliarden Megajoule, dachte sich der Pressemann des Dualen Systems ganz richtig, sind dem Leser zu abstrakt. Womit also könnte man sie vergleichen? Zwar ist ihm jeder Bezug zu seinem eigentlichen Gegenstand verloren gegangen, was zu unfreiwilliger Komik führt – aber er muss sich zumindest nicht vorwerfen lassen, sein Vergleich sei nicht originell.
Denn meistens greifen die Schreiber zu abgegriffenen Klischees. Beliebte Standard-Längeneinheiten sind – in aufsteigender Reihenfolge – die Höhe des Kölner Doms, des Eiffelturms und der Zugspitze. Bei richtig großen Zahlen nimmt man auch gern den Umfang des Äquators oder die Entfernung von der Erde zum Mond. Gewicht oder Volumen misst man oft in Eisenbahnwaggons, manchmal kombiniert mit Standard-Längenmaßen: ein Eisenbahnzug, der zweimal um die Erde reichen würde.
e Einheit für überschaubare Flächen ist das Tennis- oder Fußballfeld – so wie etwa beim Slogan des Rasiererherstellers Braun, der Deutschlands Männer zum Austausch der Scherblätter bewegen will: „Wussten Sie, dass ein Mann in 18 Monaten praktisch ein Fußballfeld rasiert?“ Da stellt man sich den armen Tropf vor, wie er auf dem Rasen kniet und Halm für Halm trimmt. Nur hat die Sache einen Haken: Die Zahl stimmt hinten und vorne nicht. Als die Welt die Sache nachrechnete, kam sie zu dem Ergebnis, dass der Mann eine Gesichtsfläche von elfeinhalb Quadratmetern haben müsste. Die Antwort von Braun folgte auf dem Fuß: Das habe alles seine Richtigkeit, nur müsse man anders rechnen. Die Scherfolie gleite bei jeder Rasur siebenmal über dieselbe Hautstelle. Außerdem sprössen beim Menschen 50 Haare auf jedem Quadratzentimeter, auf dem Rasen jedoch nur zwei Halme. Wenn man diese Faktoren mit einbeziehe, stimme die Rechnung wieder.
Für größere Flächen hat sich aus unerfindlichen Gründen die Größe des Saarlands als Maß eingebürgert. Warum muss man die Größe eines Eisbergs, der vom antarktischen Larsen-Schelf abbricht, unbedingt mit dem Saarland vergleichen und nicht mit Hessen oder Thüringen? Und Hand aufs Herz: Wer hat schon ein Gefühl dafür, wie groß das kleinste Flächen-Bundesland ist? Jenseits des Atlantiks gibt es einen ähnlichen Standard: In den USA ist die Flächeneinheit Rhode Island – auch dort ist der kleinste Bundesstaat das Maß vieler Dinge. Der interessierte amerikanische Leser erfährt etwa, dass der Radius eines Protons sich zur Planck-Länge verhält wie die Größe Rhode Islands zum Proton. Übrigens: Rhode Island ist etwa eineinhalb mal so groß wie das Saarland.
Was macht einen guten Vergleich aus? Er muss vor allem eine Beziehung zu etwas herstellen, das der Leser kennt. „Wäre beispielsweise die Sonne so groß wie eine Orange, dann wäre die Erde ein Sandkorn in zehn Metern Entfernung und der größte Planet des Sonnensystems der Kern einer Weintraube in 60 Metern Entfernung zur Sonne“ – das ist vielleicht nur mäßig originell, aber es vermittelt auf sehr überzeugende und immer wieder überraschende Weise die Größenordnungen im Sonnensystem. „Im Verhältnis zum gesamten Atom ist der Atomkern so klein wie eine Hostie in einer Kathedrale“ – das ist zwar auch noch anschaulich, aber doch ein bisschen verspielt. Und bei dem folgenden Vergleich geht die Anschauung irgendwann verloren: „Atome sind an sich klein. Könnte man alle aus einem Salzkorn auf Stecknadelgröße aufblähen, könnte man mit ihnen eine Fläche von der Europas 20 Zentimeter hoch bedecken.“
„Ende August 2001 waren noch 2,5 Milliarden DM-Banknoten im Umlauf – was aufeinander gestapelt eine Strecke von rund 310 Kilometern ergäbe, ungefähr 34mal die Höhe des Mount Everest.“ Banknoten werden gerne aufeinander gestapelt, aber wer hat schon ein Gefühl für die Dicke der Geldscheine? Wie hoch ist eine Million in 100-Euro-Scheinen? (Antwort: 20 000-mal so hoch wie ein menschliches Haar dick ist.)
Ein österreichischer Papierhersteller wirbt: „Mit insgesamt sechs Standorten in Österreich, der Slowakei, Ungarn und Israel verfügt das Unternehmen über eine jährliche Produktionskapazität von mehr als einer Million Tonnen. Das entspricht etwa 40 000 Eisenbahnwaggons voller Papier!“ Durchaus eindrucksvoll. Aber wer kann wirklich einschätzen, wie viel Papier in einen Eisenbahnwaggon passt? Das ist erstaunlich viel: Laut dieser Rechnung sind es 25 Tonnen, das entspricht 5 Millionen DIN-A4-Blättern, die man wiederum aufeinander stapeln kann, um die dreifache Höhe des Kölner Doms zu erreichen …