Eine Studie von Medizinern aus Dresden und Heidelberg mit Hardrockmusik liefert Material für kuriose Schlagzeilen. Was aber sagt sie wirklich aus?
Bäm. „Neue Studie: AC/DC führt zu besseren Operationen“ – mit dieser und ähnlichen Botschaften sorgte in den vergangenen Tagen eine Studie für kuriose Schlagzeilen. Sie wurde gerade in der medizinischen Fachzeitschrift Langenbeck’s Archives of Surgery veröffentlicht. Die ihr zugrunde liegenden Versuche wurden allerdings bereits vor fünf Jahren am Universitätsklinikum Dresden durchgeführt. Chirurginnen und Chirurgen würden, so das Ergebnis dieser Experimente, unter dem Einfluss von Hardrockmusik nicht nur schneller, sondern auch präziser operieren, als wenn sie in einem nicht beschallten OP-Saal ihrer Arbeit nachgingen.
Bevor nun allerorten Ärztinnen und Ärzte die Krachmusik ihrer Jugend hervorkramen, sei zu einem etwas genauerem Blick auf diese Forschungsarbeit geraten. Der AC/DC-Aufsatz erweist sich bei näherem Hinsehen nämlich als ein eher mageres Stück Wissenschaft.
Wie genau war hier der Versuchsaufbau? Die Forschenden von der Technischen Universität Dresden und von der Universität Heidelberg haben ganze vier Lieder getestet: zwei von der australischen Hardrockband AC/DC (T.N.T. von 1975 und Highway to Hell von 1979) sowie zwei von den Verfasserinnen und Verfassern als „Softrock“ eingeordnete Lieder der Beatles (Hey Jude von 1968 und Let It Be von 1970). Dann mussten Medizinstudentinnen und -studenten mal mit und mal ohne Musikbeschallung Operationsübungen vollführen, sicherheitshalber nicht am lebenden Objekt. Stattdessen schlitzten sie mit ihren Skalpellen Luftballons auf, schnitten bestimmte Figuren aus Gaze-Stücken heraus und übten chirurgische Nähte. Es zeigte sich dabei, dass die Musik von AC/DC die Leistung am deutlichsten steigerte, wenn sie laut gespielt wurde, bei den Beatles-Songs hingegen wirkte eine mittlere Lautstärke anspornend.
Was sagt diese Studie tatsächlich aus? Was soll man von ihr halten?
Es hat tatsächlich schon eine ganze Reihe von Experimenten gegeben, aufgrund deren Ergebnisse man der Musik an sich eine leistungssteigernde Wirkung bescheinigt hat. Am bekanntesten und berüchtigtsten dürfte die 1993 in Nature veröffentlichte Studie zum sogenannten Mozart-Effekt sein, nach der das Hören von Werken des Komponisten die kognitiven Leistungen von Studierenden fördere. Frances Rauscher und Gordon Shaw von der University of California in Irvine lösten damit einen regelrechten „Mozart-macht-schlau-Hype“ aus. Der ging so weit, dass in zwei US-Staaten die Gouverneure werdenden Eltern Mozart-CDs schickten (ZEIT Nr. 26/14).
Auch die fünf Autorinnen und Autoren der AC/DC-Studie um die Chirurgin Cui Yang erwähnen diese Arbeit. Sie verschweigen in Langenbeck’s Archives of Surgery aber die vernichtende Kritik, die seinerzeit auf die Nature-Veröffentlichung folgte. Insbesondere hielt man den Forschenden vor, dass sie nur die Effekte von Mozart und Stille überprüft und miteinander verglichen hatten, nicht auch andere Stimuli – das hätten Werke eines anderen Komponisten, Lieder eines ganz anderen Genres oder einfach ein Geräuschhintergrund sein können. Bald darauf erschienen Studien, deren Autoren einen ähnlichen Effekt mit Musik der Band Blur (bei Erwachsenen) und mit Kinderliedern (bei Kindern) nachgewiesen haben wollten. Ein Wissenschaftler konterte den „Mozart-“ mit einem „Stephen-King-Effekt“, indem er vor einem Test einen Teil seiner Probanden ein Hörbuch des amerikanischen Thriller-Autors hören ließ. Sie schnitten dann ähnlich gut ab wie Probanden nach der Beschallung mit Werken des Zauberflöte-Schöpfers.
AC/DC und die Beatles, Stephen King und Kinderlieder – offenbar kann alles, was Körper und Geist in irgendeine Form von Erregung versetzt und die Aufmerksamkeit steigert, kurzfristig die mentale Leistung verbessern. Und so muss man auch den Autorinnen und Autoren der aktuellen Studie vorhalten, dass die Auswahl ihrer musikalischen Reize doch arg beschränkt war. Sie begründen diese mit der „zeitlosen Popularität“ der Songs. Man könnte aber genauso vermuten, dass sie einfach ihre Lieblings-CDs aus dem Regal gezogen haben. Warum keine Klassik? Warum keine Ambient-Musik? Warum nicht einen aktuellen Popsong, zu dem nicht schon die Eltern der Probanden ihre Mähnen geschüttelt haben?
Vor allem lässt das doch ziemlich simple Studiendesign völlig offen, ob der postulierte Effekt von Dauer ist. Denn kein einmaliger Test kann die Frage beantworten, ob Chirurginnen und Chirurgen tatsächlich ständig Hardrock im OP hören möchten geschweige denn: sollten. Beim ersten Mal mag die Musik sie noch wach machen und zur Leistung stimulieren, auf die Dauer könnte sie schnell belastend werden. Vor allem auch für die anderen am Operationstisch Anwesenden.
Das zumindest scheinen auch die Forschenden eingesehen zu haben. „Bei der Musikauswahl sollten alle Beteiligten im OP berücksichtigt werden“, schreiben sie. Das kann man tatsächlich voll unterschreiben. Nicht nur für OP-Pflegerinnen und -Pfleger. Insbesondere Patientinnen und Patienten sollte man vorher fragen, ob sie sich ihren Bypass wirklich zu den Klängen von Highway to Hell legen lassen wollen.