Die Zeit, 30.8.12
Eine neue Strategie für das „Gefangenendilemma“ taugt nur in der Theorie. In der Natur versagt das angebliche Patentrezept.
Zwei Ganoven, eines Bankraubs verdächtigt, sitzen in Untersuchungshaft. Noch kann man ihnen nur ein geringes Vergehen nachweisen, eine Urkundenfälschung. Die Strafverfolger bieten einen Deal an: Wer seinen Kumpel verpfeift, bekommt freies Geleit, der andere geht für sechs Monate ins Gefängnis. Sagt jeder gegen den anderen aus, bekommen beide drei Monate Knast. Verweigern beide die Aussage, bekommen sie je einen Monat wegen Urkundenfälschung.
Interessanter wird das Problem, wenn man das Spiel immer wieder spielt. Lernen die beiden zu kooperieren, oder versucht jeder, den anderen übers Ohr zu hauen? Was für eine Strategie muss ich wählen, wenn ich den Charakter meines Gegenübers nicht einschätzen kann? Die Frage ist nicht nur theoretisch – sie findet Anwendung im Geschäftsleben, bei Abrüstungsverhandlungen, und sie lässt sich in der Tierwelt beobachten. Als beste Strategie galt bisher tit for tat („wie du mir, so ich dir“): Jeder verhält sich so, wie es sein Gegner im vorherigen Zug getan hat. Verrät der andere mich ständig, verrate ich ihn auch. Nimmt er aber ein Kooperationsangebot an, können wir in weiteren Zügen zum gegenseitigen Nutzen zusammenarbeiten.
Umso größer war das Aufsehen, als im Mai dieses Jahres ein Artikel des amerikanischen Physikers Freeman Dyson und seines Kollegen William Press in der Zeitschrift PNAS erschien …