Die Zeit
Handyfotos und Blogs sind die neuen Werkzeuge der Demokratiebewegungen. Doch der Zensor twittert mit.
Der Goliath Totalitarismus wird vom David Mikrochip besiegt werden«, prophezeite der US-Präsident Ronald Reagan im Jahr 1989. Sein Widersacher und Partner bei der Beendigung des Kalten Kriegs, Michail Gorbatschow, hatte sich ein Jahr zuvor ähnlich geäußert: »Die internationale Kommunikation ist heute leichter als je zuvor. Heute kann praktisch keine Gesellschaft völlig geschlossen sein.«
Diese Sätze stammen aus einer Zeit, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte und kofferschwere Mobiltelefone Spielzeuge für ein paar Reiche waren. Zwanzig Jahre später scheint sich die Vision der beiden Staatsmänner zu bestätigen: Weltweit haben die Bürger per elektronischer Datenleitung Zugang zu politischen Informationen aus dem In- und Ausland. Das Netz, so scheint es, ist zum Instrument der Freiheit geworden. Amateurfotos erreichen uns vom brutalen Einsatz der chinesischen Sicherheitskräfte gegen die Uiguren ebenso wie von den Schüssen der birmanischen Militärjunta auf friedliche Mönche. Per Internet schaut die Welt zu, wenn die Machthaber in Kenia oder Simbabwe Zivilisten verfolgen lassen. Und als in Iran gegen den Ausgang der Präsidentschaftswahl protestiert wurde, machte das Wort von der »Twitter-Revolution« die Runde. Vernetzt die Menschen miteinander, so die einfache Formel, und sie begehren gegen ihre Unterdrücker auf.
Doch die neuen Informationstechniken verändern die politische Szenerie in autoritär regierten Ländern auf eine sehr viel komplexere Weise …