Humorforscher versuchen zu verstehen, was wir lustig finden, mit Computeranalysen, Psycho-Tests und Bildern aus dem Gehirn. Eine allgemeine Definition von Humor suchen sie bisher vergebens.
Nordschottland ist eine raue Gegend und Aberdeen eine Stadt aus grauen Häusern, die gut mit dem meist grauen Himmel harmonieren. Der Seminarraum in dem neunstöckigen, selbstverständlich grauen Betongebäude ist bis auf zwei Sehschlitze fensterlos. Aber die Stimmung ist gut, denn es geht um Humor. Die International Summer School on Humor and Laughter ist jährlich im Juli ein Treffpunkt für das kleine interdisziplinäre Häuflein von Wissenschaftlern, die sich der Erforschung des Humors verschrieben haben. Und sie führen Nachwuchsforscher in ihr vom großen Wissenschaftsbetrieb weitgehend ignoriertes Gebiet ein. Es geht darum, etwas zu verstehen, das wir alle haben (oder zu haben glauben nur etwa drei Prozent der Menschen sagen, sie hätten wenig oder keinen Humor) und das eine milliardenschwere Unterhaltungsindustrie am Leben hält. Was ist Humor? Worüber lachen wir? Und warum?
Der Computerforscher. Graeme Ritchie sagt: Humor ist ein Phänomen, das noch weitgehend unerklärt ist. Der grauhaarige und -bärtige Gastgeber von der Universität Aberdeen spricht leise und mit rollendem schottischen Akzent. Zwar gibt es diverse Theorien über den Humor, aber von einer umfassenden Theorie des Humors ist die Forschung noch weit entfernt. Ob eine Äußerung humorvoll ist oder nicht, das müssen in den Experimenten zurzeit immer noch Menschen beurteilen.
Als Informatiker hat es Ritchie mit der Logik, und deshalb erwartet er von einer solchen umfassenden Theorie, dass sie notwendige und hinreichende Bedingungen für das Vorliegen von Humor benennt: Wenn etwas lustig ist, dann erfüllt es die Bedingung X. Und wenn X vorliegt, dann ist es lustig. Falsifizierbar sollen diese Aussagen sein, also durch Gegenbeispiele widerlegbar, und sie sollen nur Begriffe benutzen, die klar definiert sind.
Alte Humortheorien erfüllen Ritchies Ansprüche nicht, auch nicht die Version des Aristoteles. Für ihn war Humor ein Ausdruck von Überlegenheit: Wir lachen über andere und erhöhen uns damit selbst. Das mag für Ostfriesenwitze zutreffen, aber es gibt genügend Fälle von Humor, wo niemand verspottet wird. Auch Sigmund Freud findet bei der Humorforschung wenig Gnade, obwohl er als Erster ein ganzes Buch über Humor schrieb (Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten). Freud glaubte, dass wir lachen, weil wir so innere Spannungen auflösen. Das Unbewusste befreie sich von der Unterdrückung des Über-Ich daher so viele Witze, die mit Sex oder Körperausscheidungen zu tun haben. Auch für Freuds Theorie gilt: Es gibt zu viele Gegenbeispiele von Humor, in denen allenfalls ein hartgesottener Anhänger der Psychoana lyse die unterdrückten und durch den Witz gebrochenen Tabus aufspüren kann.
Graeme Ritchie will Computern Humor beibringen. Dabei geht es nicht darum, eine elektronische Witzmaschine zu bauen, auch wenn das eine prima Sache wäre. Die Idee ist vielmehr: Wenn wir den Rechner lehren, Humor zu verstehen und zu produzieren, dann kommen wir auf der Suche nach der magischen Essenz des Komischen ein großes Stück weiter. Aber die Erfolge dieser Bemühungen kann man bisher allenfalls als bescheiden bezeichnen. Die beste Annäherung ist ein Programm Namens Jape, das eine Doktorandin Ritchies vor über zehn Jahren entwickelte und das lustige Wortspiele erzeugt. Eine (unübersetzbare) Kostprobe: »What do you call a murderer with fiber? A cereal killer.« Der Witz beruht auf den beiden gleich klingenden Wörtern cereal und serial und hat tatsächlich schon Menschen ein Schmunzeln abgerungen. Allerdings ist das Beispiel ein Goldkörnchen im Sandhaufen völlig unlustiger Kalauer, die das Programm am Fließband produziert.
Der Linguist. Christian Hempelmann sagt: Humor ist etwas, das wir mit unserer linguistischen Theorie zu 99 Prozent erfassen können. Die bescheidenen Beispiele von Computerhumor sind kein Grund zum Pessimismus für den jugendlich wirkenden deutschen Linguisten, der in New York bei einer Suchmaschinenfirma arbeitet. Er ist ein Anhänger der General Theory of Verbal Humor (GTVH), die vor 20 Jahren von Victor Raskin von der amerikanischen Purdue University entwickelt wurde. Das klingt nach der Weltformel für Humor, und die Linguisten dominieren das Feld seitdem mit ihrer Überzeugung, dass der Humor in der logischen Struktur der Sprache steckt. Sie stehen damit in der Tradition von Denkern wie dem Schotten James Beattie, der auch in Aberdeen
lehrte und schon 1776 schrieb, dass Lachen sich »aus der Beobachtung von zwei oder mehreren inkonsistenten, unpassenden oder inkongruenten Bestand teilen oder Sachverhalten« ergebe. Mit anderen Worten: In einem Witz gibt es immer Elemente, die scheinbar nicht zusammenpassen und in der Pointe wird diese Inkongruenz auf überraschende Weise aufgelöst.
Die GTVH will einen Rahmen liefern, mit dem sich jeder Witz erklären lässt. Die Inkongruenz entsteht dadurch, dass ein Witz zwei gegensätzliche »Skripten« in sich trägt, die durch einen »logischen Mechanismus« aufgelöst werden. Eine große Zahl solcher Skript-Oppositionen listet die GTVH bisher auf, dazu 27 Mechanismen zu ihrer Auflösung. Ein Beispiel zur Illustration: »Was macht man in Ostfriesland, wenn der Strom ausfällt? Man holt sich ein paar Kilo Watt.« Die
Skripten sind hier die beiden Bereiche Technik und Natur, und der logische Mechanismus ist eine Doppelbedeutung, hier die des Wortes »Watt«. Die Erklärung macht den Witz nicht besser.
Aber erklären diese Inkongruenzen den Humor vollständig? Vielleicht stimmt es ja, dass jeder Witz einen solchen Widerspruch in sich trägt, aber umgekehrt ist längst nicht jede Inkongruenz komisch. Kann man gute und schlechte Witze unterscheiden, indem man lediglich ihre sprachliche Struktur untersucht? Die »semantische Suchmaschine« der Firma Hakia, bei der Hempelmann arbeitet, soll nicht nur die Bedeutung von Webseiten verstehen, sondern auch Humor und damit wird sie auch ein Test für die großen Versprechungen der GTVH sein. Der Humorpapst Raskin gehört zu den Beratern, und Christian Hempelmann zittert ein wenig vor der Premiere: »Entweder wird die Theorie jetzt hinhauen oder nicht.« Immerhin gibt es schon Ergebnisse aus der Hirnforschung, die man als eine Bestätigung für die linguistische Humortheorie interpretieren kann. Andrea Samson von der Schweizer Universität
Fribourg hat Testpersonen in den Kernspintomografen geschoben und untersucht, welche Hirnregionen aufleuchten, wenn den Probanden unterschiedliche Cartoons präsentiert werden. Eine recht künstliche Versuchssituation: In den Geräten dürfen die Testpersonen nicht lachen, weil dann das Hirnbild verwackeln würde. Immerhin maß Samson für Cartoons, in denen nach der Theorie unterschiedliche logische Mechanismen wirken, unterschiedliche Hirnaktivitäten.
Der Volkskundler. Elliott Oring sagt: Humor ist etwas, das man nur mit einem tiefen kulturellen Wissen versteht. Über die Versuche der logischlinguistischen Objektivierung von Humor kann der Forscher von der California State University in Los Angeles nur lächeln. Zwar glaubt auch er, dass in jedem Witz eine Inkongruenz steckt, aber das reicht ihm nicht. Oring hat ein viel beachtetes Buch über die Witze Sigmund Freuds geschrieben (The Jokes of Sigmund Freud), in dem er den Vater der Psychoanalyse sozusagen mit den eigenen Waffen schlägt. Das Witzrepertoire Freuds, so Oring, sagt vor allem viel über Freud selbst aus.
Der Volkskundler und Anthropologe füllt den Raum mit seiner sonoren Stimme, er verzichtet beim freien Vortrag auf Powerpoint-Prä sen ta tionen und legt allenfalls mal eine Folie mit einem Textbeispiel auf den Overhead-Projektor. Solche konkreten Beispiele bringen die Humorfoschung nach seiner Meinung voran für die verallgemeinernden Theorien hat er wenig mehr als Spott übrig: »Ich glaube nicht, dass die neueren Formulierungen der Inkongruenztheorie viel besser sind als das, was Beatty schon 1776 geschrieben hat.« Stattdessen rät Oring: Sammeln, sammeln, sammeln. Humor ist zu einem großen Teil mündlich überliefert und droht mit der kulturellen Nische, in der er lebt, unterzugehen. Zurzeit sind vor allem die Flüsterwitze aus der Zeit des Kommunismus vom Vergessen bedroht. Anhand von Humorsammlungen können Volkskundler auch das seltsame Phänomen erklären, dass Witze keinen Autor haben wir alle erzählen nur weiter, was wir selbst irgendwo gehört oder gelesen haben. Oring hat Beispiele für moderne Witze, die man in verschiedenen Auskleidungen bis ins 5. Jahrhundert zurückverfolgen kann.
Die Soziologin. Giselinde Kuipers sagt: Humor zeigt uns, wo die Trennlinien in einer Gesellschaft verlaufen. Wer lacht mit wem? Wer rümpft die Nase über »primitiven« Humor? Die holländische Soziologin hat untersucht, wie verschieden Humor in den Niederlanden und in den USA verstanden wird. Ihr Ergebnis: Die Völker lachen nicht nur über unterschiedliche Dinge, sie benutzen Humor auch, um soziale Barrieren zu errichten oder einzureißen. Während ein US-Manager sich als guter Kumpel präsentiert, wenn er schenkelklopfend Witze zum Besten gibt, würde sich ein holländischer Geschäftsmann damit unmöglich machen. In der Oberschicht der Niederlande gilt simpler Humor als vulgär. Die niederen Klassen mögen sich über einfach gestrickte Fernsehcomedys amüsieren, das gehobene Bürgertum findet allenfalls intelligenten und satirischen Humor salonfähig. Vielleicht gerade noch Monty Python. »In den Niederlanden muss man seine in tel lektuelle Überlegenheit demonstrieren auch im Humor«, sagt Kuipers. Man protzt nicht mit Geld, sondern mit Geist. In den USA sei das umgekehrt. »Dort herrscht eine antiintellektuelle Haltung vor.« Der amerikanische Scherzbold demonstriert eine klassenübergreifende positive Einstellung zum Leben, ein frischer, möglichst nicht diskriminierender Witz gehört zur Vorstellung von einem »guten Menschen« dazu. Über sich selbst soll und darf man gern lachen. Das gezielte Übertreten von Geschmacksgrenzen dagegen ist eher ein Zeichen der permissiven westeuropäischen Gesellschaften. »Wenn der Humor sich zwischen so zia len Gruppen so stark unterscheidet«, sagt Giselinde Kuipers, »dann zeigt das, dass diese Gruppen nicht viel miteinander interagieren.«
Der Psychologe. Willibald Ruch sagt: Humor ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das wir messen können. Der stämmige Psychologe kommt aus Bayern und lehrt jetzt an der Universität Zürich. Er tritt eher ernst und bescheiden auf, spricht mit leiser Stimme, aber er ist die unbestrittene Koryphäe auf seinem Gebiet. Etwa 60 Humorarbeiten hat er veröffentlicht. Was meint man, wenn man sagt, jemand habe einen Sinn für Humor? Lacht der viel, macht der viele komische Bemerkungen, ist er in der Lage, Witze zu verstehen? Es gibt diverse Fragebögen und Tests, mit denen solche Eigenschaften untersucht werden, jeder von ihnen führt zu einer entsprechenden Skala, aber die wissenschaftliche Basis ist meist unklar. »Keiner will in dem Bereich Grundlagenforschung machen«, klagt Ruch, »weil das Thema sexy ist und man schnelle Ergebnisse haben will. Viele machen den zweiten Schritt vor dem ersten.« Ruch selbst hat durchaus interessante Resultate zu bieten. In einer Zwillingsstudie hat er versucht herauszufinden, ob der Sinn für Humor vererbt oder erworben wird, ob er also in den Genen steckt oder wir ihn uns erst aneignen müssen. Natürlich kam dabei heraus, dass beides dazugehört, aber mit einigen interessanten Unterschieden. So scheint die Vorliebe für Witze mit sexuellem Inhalt eine starke erbliche Komponente zu haben. Wer dagegen auf Nonsens-Humor steht (bei dem die Inkongruenz unaufgelöst bleibt), der hat das meist im Laufe seines Lebens erworben.
Witze sind für Humorforscher das, was Labormäuse für die Genforscher sind: ein relativ gut verstandenes Modell fürs Ganze. Sie sind kurz, man kann das Lachen fast vorhersehbar auslösen und weiß genau, wo die Pointe sitzt. Aber so, wie man Mäuseergebnisse nicht verallgemeinern kann, ist auch Humor nicht gleich Witz. Noch schwieriger ist es mit dem Lachen, das längst nicht immer mit Komik zu tun hat. Menschen lachen, wenn sie sich nach langer Zeit am Flughafen wiedersehen, sie lachen hilflos im Krieg, wenn neben ihnen ein Kamerad erschossen wird. Lachen ist nicht einmal an Sprache gebunden. Wahrscheinlich haben sich unsere Vorfahren schon ausgeschüttet vor Lachen, wenn ein Artgenosse auf einer Bananenschale ausrutschte lange bevor die Sprache erfunden war.
Graeme Ritchie ist zufrieden mit seiner Sommerschule in Aberdeen. Ein paar junge Forscher aus Italien, Slowenien, Litauen und Rumänien sind in die internationale Humorforschung eingeführt worden, das wird bald sicherlich zu neuen Veröffentlichungen im Verbandsorgan Humor führen: Arbeiten zur Ironie in Kinofilmen, zur humorigen Namensgebung bei südafrikanischen Völkern und dazu, wie man mit witziger Werbung Menschen zum Kaufen verführt. Viele neue Erkenntnisse über Humor aber eine exakte Definition dessen, was Humor eigentlich ist, ist immer noch nicht in greifbarer Nähe. Ist Humor vielleicht zu subtil, entzieht er sich der wissenschaftlichen Beschreibung? Da wehrt der Schotte entschieden ab: »Wir können natürlich sagen: Das ist alles viel zu kompliziert, lasst uns lieber mit Ratten arbeiten, weil das leichter ist! Aber das wäre eine Philosophie der Verzweiflung.«