Wie man in drei Monaten zwölf Kilo abspeckt – und dabei keine Feier auslässt. Ein Erfahrungsbericht.
Die Geschichte beginnt im vergangenen Herbst während einer Journalistenreise. Sah der Kollege Thomas F. aus Berlin nicht ein ganzes Stück schlanker aus als bei unserem letzten Zusammentreffen? Ja, zehn Kilo hatte er seit dem Sommer abgespeckt. Und wie? Mit einer Art Weight Watching per Internet: Jeden Morgen mailten ein Freund und er einander den aktuellen Pegelstand der Waage zu. Schummeln verboten.
Das war der Auslöser. Seit Jahren hatte ich einen Bogen um die alte Badezimmerwaage gemacht. Ich mied die Bestätigung für das, was ich ohnehin wusste: Es war zu viel, was sich unter dem Hemd wölbte. Da waren die Sticheleien von Freunden und vor allem Freundinnen, da war die Bemerkung des eigenen Sohnes, für diese modisch eng geschnittenen Strickjacken sei der Papa doch zu dick. Und der Brustansatz kam auch nicht von einer hormonellen Fehlfunktion.
Mangels Abnehmpartner beschloss ich, die Kontrolle selbst zu übernehmen. Erster Schritt: ins Kaufhaus, eine neue digitale Waage erstehen. Mein gefühltes Gewicht betrug „etwas über 85 Kilo“ – tatsächlich waren es am 22. September 92,2. Man muss keinen komplizierten Body-Mass-Index berechnen, um zu wissen, dass das zu viel ist für einen Mann von 1,80 Meter Körpergröße. Zweiter Schritt: ein Ziel setzen. Um 10 Kilo erleichtert wollte ich unter dem Weihnachtsbaum sitzen.
Dritter Schritt: eine Excel-Tabelle anlegen. Ich bin ein Zahlen-Mensch, und der Blick auf die abfallende Gewichtskurve sollte in den nächsten drei Monaten meine tägliche Motivationsquelle werden. Alsdann erzählt man am besten sein Vorhaben allen Freunden und Kollegen. Das fördert das Selbstbewusstsein, wenn man mit seinen Erfolgen prahlen kann – und hält einen bei der Stange, wenn die Motivation nachlässt.
Einer bestimmten Diät bin ich nicht gefolgt, eher dem gesunden Menschenverstand: Man weiß ja eigentlich, was gesund ist – und letztlich kommt es darauf an, weniger Kalorien in den Körper hineinzustopfen als er verbrennt. Aber ich habe nicht nur noch Selleriestangen gekaut. Man muss auf die angenehmen Dinge des Lebens nicht verzichten – nicht auf den Würfel Zucker im Kaffee, nicht auf das Olivenöl im Salat und auch nicht auf das Glas Wein bei der Party. Und wenn man nicht gerade alle zwei Tage zu einem mehrgängigen Diner geladen ist, kann man auch das einmal mitnehmen, ohne einen allzu großen Rückschlag zu erleiden.
Mein Ernährungsprinzip war: wenig essen bis zum Abend und dann gesund und auch nicht viel. Gefrühstückt habe ich schon vorher nicht, ich brachte nun jeden Tag mein Beutelchen Obst mit ins Büro – das musste für den Tag reichen. Wichtig: der radikale Verzicht auf alles, was man sich sonst so zwischendurch mal in den Mund schiebt. Bei mir hieß das vor allem: Kohlenhydrate in Form von Brot, Keksen, Knabberzeug. Idealerweise hat man die Sachen gar nicht erst vorrätig.
Am besten klappt die gezielte Mangelernährung, solange man allein vor sich hin mümmelt. Sobald ein Partner dabei ist, der sein Recht auf Pasta mit Sauce einfordert, ist die Versuchung da. Oder ein Kind: Mein 12-jähriger Sohn jedenfalls lässt sich nur begrenzt für gedünsteten Reis mit Gemüse begeistern. Da bleibt dann nur die Alternative des Doppeltkochens – das Kind soll ja noch wachsen, ich will schrumpfen.
Die erste Woche ist leicht: 2,5 Kilo weniger. Nach zwei Wochen: 5 Kilo weniger. Nach drei Wochen: immer noch 5 Kilo weniger. Auf das süße Gefühl des ersten Erfolgs folgt zwangsläufig der erste Frust. Aber es geht weiter, wenn auch langsamer. Es kommen die ersten Erfolgserlebnisse jenseits der Excel-Kurve. So bei etwa minus 7 Kilo sprechen mich die ersten Bekannten an, wie gut ich aussähe. Die Nachbarin kann es sich nicht verkneifen, mich auf die zunehmenden Falten aufmerksam zu machen – das ist natürlich der blasse Neid. Der Gürtel lässt sich ein Loch enger schnallen. Die Hosen beginnen zu schlottern – dass ich am Hintern abnehmen würde, hätte ich zuletzt erwartet. Meinen Geburtstag am Ende von Woche vier feiere ich mit einem üppigen Brunch, der heute noch als kleiner Hopser in der Gewichtskurve dokumentiert ist.
Am 13. November zeigt die Waage 81,9 Kilo – Planziel erreicht! Ich peile als Nächstes die 80-Kilo-Marke an, und tatsächlich leuchtet am 4. Dezember eine Zahl auf, die mit einer 7 beginnt.
Seitdem sind fast vier Monate vergangen. Das erschien mir konstant genug, um in Hemden der Größe M und engere Hosen mit einem Zoll weniger Bundweite zu investieren (und in die modische Strickjacke). Natürlich kenne ich das Wort „Jo-Jo-Effekt“. Aber der gefürchtete Weihnachtsspeck ist ausgeblieben. Dafür schlug eine Woche USA gleich mit zwei Kilo zu Buche. Ich weiß um die Gefahr des schleichenden Rückfalls, weil ich nicht über Nacht zum fanatischen Freizeitsportler und Gesundheitsapostel geworden bin.
Habe ich nur die Wahl zwischen Verfettung oder permanenter Kontrolle? Werde ich – neben dem Rauchen – für den Rest meiner Tage eine weitere „Sucht“ im Zaum halten müssen? Fragen Sie mich in einem Jahr.